Mathematische Herangehensweisen

Ich meine, dass man beim Lösen mathematischer Aufgaben vier Herangehensweisen unterscheiden kann:
  • "Wissen und Erkennen": Es gibt viele "Muster", mit denen man eine Aufgabe schnell in einen "Topf von möglichen Lösungen" werfen kann. Man muss diese Muster wissen, und man muss sie dann auch in konkreten Aufgaben erkennen. Manche Muster ändern eine Aufgabe auch auf einen anderen Aufgabentyp – das nennt man "Zurückführen": Es ist wichtig, weil man dann weniger verschiedene Lösungsverfahren lernen muss.
  • "Ausrechnen": Wenn man kein Muster hat, mit dem man eine Aufgabe einfach(er) bewältigen kann, dann muss man einen "normalen", "langen" Weg gehen.
  • "Aufzeichnen": Alle Menschen denken, unter anderem, durch "räumliches Anordnen" (unsere Sprache führt vieles auf räumliche Zusammenhänge zurück, z.B. verwenden wir für zeitliche Abfolgen räumliche Begriffe wie "vor" und "nach"). Viele Aufgaben erfordern, dass man sich eine solche "Anordnung" vorstellt – geometrische Aufgaben immer, aber z.B. auch manche Bruchterme oder -gleichungen.
  • "Raten und Prüfen": Manchmal kommt man weder mit Wissen noch mit Ausrechnen noch mit Aufzeichnen weiter. Dann hilft Raten – "dummes Raten" oder auch "intelligentes Raten". Wenn man überprüfen kann, ob das erratene Ergebnis stimmt, dann ist das ein vollkommen zulässiger Lösungsweg. Er taugt allerdings fast nie für Schüler, die in einer Schux in begrenzter Zeit eine passende Lösung finden müssen. Hingegen ist Raten eine wichtige Methode, um zu lernen: Wenn man auch nur ein wenig Zeit hat, sollte man daher bei vielen Aufgaben zuerst zu "raten und prüfen" versuchen – irgendwas lernt man dabei! Allerdings soll man einen Schüler nie zwingen, intelligent oder gar richtig zu raten – dann ist man bei Regeln, also bei "Wissen und Erkennen", und solche Regeln muss man ordentlich einführen und üben.
Hier sind zwei leichte Beispiele, die diese Herangehensweisen zeigen – und auch, dass häufig mehrere davon funktionieren. Das ist einerseits gut, weil mehrere Wege zum Ziel führen; andererseits schlecht, weil es schwierig ist, eine "Kochbuch-Methode" zu lernen, also ein "mach es immer so-und-so, dann geht's". Das ist leider so – vielleicht schreibe ich irgendwann noch ein wenig dazu, wie man aus dieser Klemme herauskommen kann.

Aufgabe: Vereinfache den Term (a + 2)2.

Lösungen:
  • Mit "Wissen und Erkennen": Wenn man erstens weiß, dass der binomische Lehrsatz (a + b)2 = a2 +  2ab + b2 gilt, und zweitens erkennt, dass die Aufgabe von dieser Form ist, dann kann man das Wissen anwenden (das ist aber nicht Stoff der 7. Klasse!).
  • Mit "Ausrechnen" kann man sich auf die lange Reise machen: (a + 2)2 = (a + 2) ⋅ (a + 2) = a ⋅ (a + 2) + 2 ⋅ (a + 2) = ...usw.usf. Dazu braucht man auch wieder "Wissen und Erkennen", z.B. über Distributivgesetz oder "Punkt-Vor-Strichrechnung".
  • Mit "Aufzeichnen" kann man das Produkt geometrisch aufzeichnen ...
... und sieht dann, dass das Produkt gleich sein muss a2 + 2⋅a + a⋅2 + 2⋅2, was man dann weiter vereinfachen kann.
  • Mit "Raten und Prüfen" kann man z.B. raten, dass das Vereinfachungsergebnis gleich a2 + 4 sein könnte. "Prüfen" macht man, indem man eine beliebige Zahl einsetzt (dabei 0 und 1 vermeiden!). Für a = 3 liefert der Term in der Aufgabe (3+2)2 = 52 = 25, während die geratene Vereinfachung 32 + 4 = 9+4 = 13 ergibt. Also war das erratene Ergebnis falsch ... aber vielleicht findet man mit etwas Herumprobieren (am besten in Kombination mit z.B. "Aufzeichnen") doch eine Lösung ...

Noch eine Aufgabe: Finde die Lösungen der Gleichung  y ⋅ (y – 3) = 0.

Lösungen:
  • Mit "Wissen und Erkennen" kann man hier verschiedene Muster anwenden:
    1. Ein Produkt ist dann 0, wenn mindestens einer der Faktoren 0 ist: Das Produkt links vom = wird also 0, wenn entweder y = 0 ist (aha! – schon eine Lösung gefunden!) oder wenn y – 3 = 0 ist (die zweite Lösung ist also 3).
    2. Einen Term mit Klammern (oder auch Summen im Zähler von Brüchen) kann man i.d.R. vereinfachen: Hier kann man den Term links ausmultiplizieren, was y2 – 3y ergibt – und das ist wiederum eine quadratische Gleichung ist, für die man vielleicht ein Lösungsverfahren weiß.
  • "Ausrechnen": Für diese Aufgabe weiß ich keinen Weg, der nicht ein "Wissen und Erkennen" braucht.
  • "Aufzeichnen": Wieder kann man das Produkt als Fläche eines Rechtecks sehen:
Wann wird die Fläche dieses Rechtecks 0? Dazu muss entweder die linke Seite 0 werden (dann ist das Rechteck nur mehr "ein Strich") oder die rechte – was wieder dazu führt, dass y = 0 oder y – 3 = 0 gelten muss, sodass sich L = { 0, 3 } ergibt.
  • "Raten und Prüfen" – klar kann man der Reihe nach für 1, 2, 3, 4, 5, ... ausprobieren, ob die Gleichung stimmt (Termtabelle aufstellen!). Dabei erkennt man dann vielleicht, dass bei Werten ab 4 oder 5 der Wert links ziemlich brutal zu steigen beginnt, sodass da "nie mehr" 0 herauskommen kann – und findet dann durch "auf der anderen Seite herumraten" die richtige Lösung. Aber auch wenn man so beide Lösungen findet, sollte das nur der erste Schritt zu einem "Wissen und Erkennen" sein.

Ich hoffe, ich habe durch diese Beispiele nicht verwirrt: Ein Schüler sollte sie nicht auf mehrere Arten zu lösen versuchen, sondern vorrangig mit "Wissen und Erkennen". Aber ich wollte meine vier "Verfahren" irgendwie illustrieren ...

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